Umjubelte Premiere für den "Jedermann"


Ein Klassiker, in dem noch Saft steckt
Umjubelte Premiere für den "Jedermann"


Tirschenreuth. (std) In den dichten Nebelschwaden ducken sich Gestalten. Sie kreuchen umher, sind fast nur als Schattenrisse erkennbar. Sammeln Müll auf, leere Plastikflaschen und Tetrapacks, und stecken ihn in ihre Tüten. Vielleicht gibt's Pfand auf ihrer Beute, vielleicht lässt sich damit die nächste warme Mahlzeit finanzieren. Oder wenigstens eine trockene Semmel. Und mitten unter den Sammlern, den armen Kreaturen unserer modernen Zeiten, hockt der Tod, eine hünenhafte Zombie-Version von Karl Marx, der bereit ist, seinen Job zu machen. Den Jedermann gilt's abzuholen, den eitlen Prasser und Menschenverächter, der erst im Angesicht der eigenen Sterblichkeit zur Besinnung kommen wird. Dann plötzlich kommt die Horde der Armutsopfer stumm auf das Publikum zu, mit ausgestreckten Händen und bettelnden Blicken. Das Herz rast.

Dieses starke Bild bringt Regisseur Johannes Reitmeier ganz zu Beginn im "Oberpfälzer Jedermann", der am Samstag im Kettelerhaus Premiere hatte. Eine beeindruckende Inszenierung - und das ist keineswegs selbstverständlich. Denn der uralte Stoff ist in seiner Botschaft zwar zeitlos, er ist aber auch dramaturgisch ausgepresst wie eine Zitrone, so dass sich jeder Regisseur mühen muss, um dem Stück auch nur einen einzigen frischen Tropfen abzuringen.

Brillante Ensembleleistung

Ein Profi wie Reitmeier, der schon die "Tirschenreuth Passion" und das Amberger "Welttheater" inszeniert hat, weiß um dieses Problem und löst es souverän: Größtenteils in Mundart, mit modernen Kostümen und auf einer fast leeren, weißen Bühne reduziert er den "Jedermann" auf das Wesentliche und quetscht aus der Zitrone noch einiges an Saft.

Dass das Stück gegen Ende nach wie vor wie ein zäher Zwitter aus Predigt und Posse daherkommt, liegt nun mal am Ausgangsmaterial. Eigentlich könnte der einst arrogante Jedermann doch auch ins Leben zurückkehren und an seinen Mitmenschen beweisen, dass er wirklich begriffen und dazugelernt hat. Träumerei ist das alles, leider. Und so fährt er auch in Tirschenreuth im Finale in den Himmel hinauf - geläutert und einsichtig, aber eben: tot. Wobei das in der Moral des Stücks natürlich konsequent ist, denn der Tod vergibt eben nur selten eine zweite Chance.

Neben kräftigen Bildern braucht man aber auch ein zuverlässiges Ensemble, und auch hier beweist Reitmeier ein gutes Händchen. Seine durchweg engagierten Laiendarsteller erweisen sich in Text und Bewegung zu jeder Zeit als absolut souverän. Einzig in der Artikulation fehlt es hier und da an Deutlichkeit, und die gereimten Verszeilen hätten ab und an etwas mehr Schwung und Tempo vertragen. Aber das sind Kleinigkeiten, die den Gesamteindruck kein bisschen schmälern.

Die Arbeitsverteilung ist bei jeder Inszenierung des "Jedermann" unfair: Wer die Titelfigur spielt, ist fast dauernd auf der Bühne, hat den meisten Text und auch physisch gesehen viel zu leisten. In Tirschenreuth lastet dieser Druck auf den Schultern des erfahrenen Florian Winklmüller, der die Herausforderung bravourös meistert - auch wenn man das Gefühl hat, dass er sich in Gesten und Bewegungen sogar noch zurückhält. In Salzburg und anderswo gilt bei diesem Klassiker der zweite Blick immer der weiblichen Hauptrolle, der Buhlschaft: Hier fällt er auf die souveräne Sandra Zech, die Jedermanns Geliebte eher züchtig und weniger verspielt anlegt und in der Festszene zudem als wunderbare Sängerin brilliert.

Franz Hackl und Marco Schwägerl sorgen als Jedermanns Vettern für das, was der Brite "comic relief" nennt, entspannende Lacher also, auch wenn sie sich im Umgang mit dem armen Nachbarn (Werner Gleißner) und dem Schuldknecht (Herbert Kreuzer) als skrupellose (Golf-)Schläger entpuppen. Horst Schafferhans ist ein imposanter Tod, Manfred Grüssner ein hinterfotzig-frecher Mammon, und Jürgen Land darf als "Rocky Horror"-Teufel sogar auf der Vespa zur Bühne knattern und sich nach Herzenslust austoben.

Visuell überwältigend

Teuflischer als der Teufel ist eigentlich nur der junge Julian Mühlmeier, der als Jedermanns Gesell den eiskalten Banker und Geldvermehrer spielt und seinen vermeintlich besten Freund auf dessen letztem Weg als erster im Stich lässt. Mit Simone Zettl als Jedermanns Werke und Gaby Saller als Glaube stehen dem Gepeinigten im Finale dann zwei Frauen zur Seite, die ihn mit starkem Spiel ohne Pathos in die Erlösung geleiten.

Zurück bleibt der Eindruck einer visuell überwältigend guten Inszenierung voller guter Regieeinfälle, die nicht zuletzt dank der Spielfreude des Ensembles neue Maßstäbe setzt. Wer den "Jedermann" noch nicht gesehen hat, sollte diese Gelegenheit nutzen. Und wer ihn schon kennt, sollte ebenfalls gehen, denn so hat man den Klassiker noch nicht erlebt.

___

Die nächsten Aufführungen: 19., 20., 25., 26. und 27. April sowie 1., 2. und 3. Mai jeweils 20 Uhr. Karten unter anderem bei der Tourist-Info Tirschenreuth unter Telefon 09631/600-248 oder -249.

zur Bildergalerie

Quelle: Der Neue Tag / oberpfalznetz.de